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Zustandsstörerhaftung Grundstückseigentümer für Standsicherheit

LG Tübingen – Az.: 7 O 318/14 – Urteil vom 20.05.2016

1. Der Beklagte wird verurteilt, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit verhindert wird, dass die Straße – … auf dem Grundstück Flurstück Nr. … entlang dem unmittelbar nordwestlich angrenzenden Grundstück Flurstück Nr. … abrutscht, aufbricht oder abbricht.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11/10 des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 300.000,00 EUR

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von dem Beklagten als Grundstückseigentümer Maßnahmen zur Sicherung einer senkrechten, teils überhängenden Tuffsteinwand an der Grenze seines Grundstücks.

Der Beklagte ist Eigentümer des Grundstücks Flurstück … in …, das sein Großvater 1939 erworben hatte. Durch Erbfolge ist er Eigentümer des Grundstücks geworden. Auf dem Grundstück bestand bis gegen das Jahr 1860 ein Steinbruchbetrieb, in dem mittels Sprengungen Steine gebrochen wurden, so dass an der südöstlichen Grundstücksgrenze eine senkrechte, teils auch überhängende Tuffsteinwand entstand, die eine Höhe von bis zu 8 m erreicht. An der Grundstücksgrenze verläuft in geringem Abstand oberhalb dieses Grundstücks die im Eigentum der Klägerin stehende Straße Bei der Kirche (vgl. im einzelnen die Lichtbilder Bl. 50 d.A., Bl. 67 d.A. und Bl. 197/199 d.A.).

Die Klägerin befürchtet, dass die Tuffsteinwand durch fortlaufende Erosion und Verwitterung zunehmend ihren Halt verliert und die Standsicherheit der Gemeindestraße beeinträchtigt wird. Sie hat einen Teilbereich der Straße für den Verkehr gesperrt (vgl. die Lichtbilder Nr. 12 bis 23 aus dem Gutachten des Sachverständigen … vom 15. Dezember 2015, Bl. 111/117 d.A.) und entstandene Risse der Straßenoberfläche ausgegossen (vgl. das Lichtbild Nr. 15, Bl. 112 d.A.). Die Wand und die aufgesetzten Natursteinmauer sind teilweise abgestürzt (vgl. die Lichtbilder Bl. 198/199 d.A.).

Die Klägerin, die mit Sanierungskosten von annähernd 300.000,00 EUR rechnet, verlangt vom Beklagten die Durchführung von Sicherungsmaßnahmen.

Sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Straße … auf dem Grundstück Flurstück Nr. … entlang des unmittelbar nordwestlich an das Straßengrundstück angrenzenden Grundstücks Flurstück Nr. … abrutscht, aufbricht und abbricht, soweit vorstehende Schäden auf den Stützverlust, ausgehend vom Flurstück Nr. … ausgehen, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Straße … auf dem Grundstück Flurstück Nr. … entlang des unmittelbar nordwestlich an das Straßengrundstück angrenzenden Grundstücks Flurstück Nr. … abrutscht, aufbricht und abbricht, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass auf dem Straßengrundstück … auf dem Grundstück Flurstück Nr. … entlang des unmittelbar nordwestlich an das Straßengrundstück angrenzenden Grundstücks Flurstück Nr. -… dauerhaft eine Bodenfestigkeit entsteht, die … ausreicht, um die Lasten aus dem Straßenverkehr

auf dem Fahrstreifen auf der Seite der die Straße begrenzenden Stützmauer eine Flächenlast von 9 kN/m2 und eine Achslast von 240 kN auf dem der Mauer abgewandten Fahrstreifen eine Flächenlast von 2,5 kN/m2 und eine Achslast von 160 kN eine Anpralllast auf die Schrammbordkante des Gehwegs von 100 kN im Abstand von 0,05 m unter der Oberkante des Schrammbords ansetzend aufzunehmen, ohne dass das Straßengrundstück jetzt oder künftig seine Stütze verliert und dort Risse und andere Beschädigungen, resultierend aus einem Stützverlust des Grundstücks, eintreten.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte weist insbesondere darauf hin, dass der Steinbruchbetrieb bereits gegen das Jahr 1860 eingestellt wurde, zu einer Zeit, als sich das Grundstück noch nicht im Eigentum seiner Familie befunden habe. Seither seien an der Tuffsteinwand keine Veränderungen mehr vorgenommen worden. Es bestehe keine Gefahr, dass die Tuffsteinwand ihre Standsicherheit verliere und es zu einem Abrutschen oder Abstürzen der Straße oder von Teilabschnitten der Straße komme. Überdies sei das Verlangen der Klägerin im Hinblick auf den geringen Verkehrswert seines Grundstücks im Bereich von 5.000,00 EUR unverhältnismäßig und entwerte sein Eigentumsrecht. Der Klägerin sei eine Mitverursachung vorzuhalten, weil durch die Verkehrsbelastung der Straße der derzeitige Zustand mitverursacht sei. Ein Anspruch sei zudem verjährt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf deren Schriftsätze verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen … vom 15. Dezember 2015 (Bl. 100/150 d.A.) und einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 08. März 2016 (Bl. 185/186 d.A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Die Klägerin kann vom Beklagten – im Sinne des ersten Hilfsantrags – verlangen, dass der Beklagte als Grundstückseigentümer diejenigen Sicherungsmaßnahmen ergreift und durchführt, die geeignet und zulässig sind, um dem drohenden Verlust der Standsicherheit der Tuffsteinwand und der Standsicherheit der Straße der Klägerin zu begegnen.

1. Der Klägerin steht als Eigentümerin des Straßengrundstücks gemäß den §§ 1004, 906 BGB der anhängig gemachte Anspruch zu. Es ist unstreitig, dass auf dem Grundstück des Beklagten bis ungefähr zum Jahre 1860 ein Steinbruch betrieben wurde, in dem Tuffsteine für den Bau von Gebäuden gewonnen wurden. Durch den Tuffsteinabbau entstand eine bis zu 8 m hohe, teils überhängende Wand. Zwar ist der vormalige Zustand des Geländes vor der Aufnahme des Tuffsteinabbaus unbekannt. Der jetzige Zustand mit der die Standsicherheit des Grundstücks der Klägerin bedrohenden Wand entstand jedoch durch den Tuffsteinabbau.

Ohne Bedeutung ist, dass der Beklagte selbst für den Tuffsteinabbau nicht verantwortlich war, er vielmehr an der Wand, mit der Ausnahme von Sicherungsmaßnahmen, offenbar nichts verändert hat, und er im Wege der Erbfolge Eigentümer des von seinem Großvater im Jahre 1939 erworbenen Grundstücks wurde. Der Beklagte ist als „Zustandsstörer“ verantwortlich (vgl. BGH V ZR 298/94, Urteil vom 19. Januar 1996), weil seine Rechtsvorgänger im Eigentum gezielt in die Stabilität des Geländes eingegriffen haben (anders als bei BGH VI ZR 193/83, Urteil vom 12. Februar 1985, wo menschliche Eingriffe fehlen).

2. Es lässt sich nach den Ergebnissen der von der Klägerin eingeholten Gutachten, die durch das gerichtlich eingeholte Gutachten des Sachverständigen … bestätigt wurden, nicht mit Erfolg bestreiten, dass die durch Menschenhand gebildete Steilwand eine Gefahr für das oberhalb liegende Straßengrundstück der Klägerin herbeiführt. Dies zeigen auch die, offenbar vom Beklagten oder dessen Rechtsvorgänger unternommenen, Abstützungs- und Absperrmaßnahmen auf dem eigenen Grundstück (vgl. die Lichtbilder Bl. 67/2 d.A., die Lichtbilder Nr. 1 und 2, Bl. 105 d.A. und die Lichtbilder 198/199 d.A.) und die Risse des Fahrbahnbelags, die die Klägerin hat ausgießen lassen (vgl. insbesondere das Lichtbild Nr. 15, Bl. 112 d.A.).

Es besteht damit, dies bestätigen die Sachverständigengutachten, die konkrete Gefahr weiterer Geländeabrutschungen und Geländeabbrüche. Ohne Bedeutung ist, ob sich die Schäden in jüngster Zeit vergrößert haben (die Klägerin trägt vor, der Spalt am Randstein, vgl. dazu das Lichtbild Nr. 14, Bl. 112 d.A. und das Lichtbild Bl. 197 d.A., sei breiter geworden), denn die konkrete Gefahr für die nahe Zukunft steht fest.

3. Ohne Bedeutung ist die – erlaubte und zulässige – Nutzung des Straßengrundstücks der Klägerin, insbesondere die Tatsache, dass sich wohl nicht ausschließen lässt, dass zunehmender Straßenverkehr zu einer Beschleunigung der Schadensentwicklung geführt hat.

4. Das Verlangen der Klägerin ist, entgegen der Auffassung des Beklagten, nicht unverhältnismäßig. Vergleichsmaßstäbe können nur die dem Beklagten voraussichtlich entstehenden Kosten und die Vorteile der Klägerin setzen, nicht der Wert des Grundstücks des Beklagten. Alles andere führte zu zufälligen Ergebnissen, die insbesondere von der Größe des Grundstücks des Verpflichteten und dessen Leistungsfähigkeit abhingen. Es ist unbestreitbar, dass die Vorteile der Klägerin – nämlich die Sicherung der Straße und der Verkehrssicherheit – nicht nur unbedeutend sind, und auch eine Verlegung der Straße nicht in Frage kommen kann, zumal dies nicht zu einer Sicherung des Grundstücks der Klägerin führen könnte.

5. Der Anspruch der Klägerin ist bereits deshalb nicht verjährt, weil er sich nicht auf ein einmaliges, abgeschlossenes Ereignis, etwa einen Felssturz, bezieht, sondern sich die Gefährdung der Sicherheit des Straßengrundstücks der Klägerin kontinuierlich verwirklicht und fortsetzt.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

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