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Genehmigungsfiktion eines gestellten Leistungsantrags

Genehmigungsfiktion eines gestellten Leistungsantrags bei nicht rechtzeitiger Bescheidung durch die Krankenkasse

Landessozialgericht NRW, Az: L 1 KR 680/15, Urteil vom 06.12.2016

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.09.2015 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.10.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2015 verurteilt, der Klägerin eine stationäre Liposuktion als Sachleistung nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Gewährung einer Liposuktion in Anspruch.

Die am 00.00.1983 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Sie leidet unter einem Lipödem der Arme und Beine, das aktuell mit einer Lymphdrainage und dem Tragen einer Kompressionsstrumpfhose behandelt wird.

Genehmigungsfiktion eines gestellten Leistungsantrags bei nicht rechtzeitiger Bescheidung durch die Krankenkasse
Symbolfoto: gritsalak karalak / Bigstock

Am 12.05.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Liposuktion. Zur Stützung des Antrags überreichte sie ein von dem Arzt für Chirurgie und Plastische Chirurgie Dr. H (D Fachklinik) erstattetes Attest vom 11.02.2014. Danach habe die bisher durchgeführte Lymphdrainage bei der Klägerin nicht zur Schmerzlosigkeit geführt. Als Therapie der Wahl zur Verhinderung von Chronizität gelte eine lymphologische Liposcultptur, die ambulant durchgeführt werden könne. Hierfür entstünden voraussichtlich Kosten von ca. 16.500,00 EUR. Demgegenüber empfahl Dr. X (G-Krankenhaus) in einem Bericht vom 29.04.2014 die stationäre Therapie mittels wasserstrahlassistierter Liposuktion der Oberarme und Oberschenkel.

Die Beklagte forderte telefonisch weitere Unterlagen von der Klägerin an. Nach Eingang am 29.07.2016 (u.a. eine Bescheinigung des Arztes für Orthopädie I vom 12.06.2014 und ein Attest des Internisten Dr. M vom 08.07.2014) beauftragte die Beklagte unter dem 30.07.2016 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser führte in einer nach Aktenlage verfassten Stellungnahme vom 11.08.2014 aus, dass die Liposuktion auch ambulant durchgeführt werden könne. Insoweit scheide jedoch eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aus, weil keine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) für diese Behandlungsmethode existiere. Als Therapie der Wahl gelte die komplexe Entstauungstherapie. Außerdem sei bei der Klägerin das Lipödem erstmals im Februar 2014 diagnostiziert worden. Daher könne allein aufgrund der zeitlichen Abfolge die konservative Therapie noch nicht ausgeschöpft sein. Ferner sei auf das bei der Klägerin vorhandene Übergewicht hinzuweisen, das einen Risikofaktor darstelle. Die Wirbelsäulenbeschwerden beruhten nicht auf dem Lipödem, sondern auf einer Hyperlordosierung der Lendenwirbelsäule.

Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte den „Antrag auf Kostenübernahme einer beidseitigen Liposuktion an den Oberarmen und Oberschenkeln im G-Krankenhaus“ ab (Bescheid vom 12.08.2014).

Der im Widerspruchsverfahren von der Beklagten abermals eingeschaltete MDK vertrat in einer Stellungnahme vom 16.09.2016 die Auffassung, dass sich auch unter Berücksichtigung der jetzt vorliegenden Fotos der Beine keine andere Beurteilung ergebe. Durch weiteren Bescheid vom 01.10.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ihren Bescheid vom 12.08.2014 aufhebe und diesen nunmehr dahin korrigiere, dass sie den Antrag auf Kostenübernahme stationär im G-Krankenhauses oder ambulant in der D Fachklinik ablehne. In einem weiteren Gutachten vom 30.12.2014 verblieb der MDK bei seinen zuvor geäußerten Einschätzungen. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.01.2015).

Mit ihrer am 09.02.2015 bei dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin die Gewährung einer stationären Liposuktion begehrt und im Wesentlichen vorgetragen: Eine Liposuktion sei medizinisch notwendig, nachdem sämtliche konservativen Behandlungsmaßnahmen gescheitert seien. Es sei gesichert, dass ein Lipödem nicht durch Lymphdrainagen und Kompressionsstrümpfe zu heilen sei. Demgegenüber sei die Liposuktion seit Jahren als sichere und effektive Therapiealternative anerkannt.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheide vom 12.08.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 01.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2015 zu verpflichten, die Kosten für die beantragte stationäre Liposuktion zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat sich im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides gestützt.

Der Arzt für Innere Medizin Dr. M hat in einem vom SG eingeholten Befundbericht vom 16.03.2015 die Einschätzung geäußert, dass aus seiner hausärztlichen Sicht die Liposuktion durchaus erforderlich sein könne. Die Entscheidung über die Art der Operation (ambulant oder stationär) obliege dem Operateur.

Durch Urteil vom 24.09.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Liposuktion sei unter Berücksichtigung der vom MDK erstatteten Stellungnahmen ambulant durchführbar. Hierfür fehle es bislang jedoch an einer positiven Empfehlung des GBA. Auch ein Systemversagen sei nicht gegeben, weil nichts dafür spreche, dass das inzwischen mit Beschluss vom 22.05.2014 beim GBA eingeleitete Prüfverfahren willkürlich verzögert worden sei. Bei einem Lipödem handele es sich nicht um eine seltene oder lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Etwas anderes würde auch dann nicht gelten, wenn die Liposuktion im Falle der Klägerin stationär durchzuführen wäre, weil bei stationärer Krankenhausbehandlung letztlich die selben Maßstäbe zur Beurteilung der therapeutischen Wirksamkeit anzuwenden seien. Zu Qualität und Wirksamkeit der Liposuktion fehlten jedoch bislang zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen. Vielmehr sei die Liposuktion zur Therapie des Lipödems aktuell lediglich Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion.

Gegen das ihr am 06.10.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 04.11.2015 Berufung eingelegt.

Sie hält an ihrer erstinstanzlich vertretenen Auffassung fest und trägt vor: Die beantragte Liposuktion gelte gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt. Im Zeitpunkt des Antragseingangs hätten der Beklagten sämtliche Informationen vorgelegen, um über den Antrag zu entscheiden. Eine Entscheidung sei jedoch erst unter dem 12.08.2014 bzw. – nach Aufhebung dieses Bescheides – unter dem 01.10.2014 ergangen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.09.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.10.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2015 zu verurteilen, ihr eine stationäre Liposuktion als Sachleistung nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und erwidert: Die Liposuktion liege offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV, so dass bereits vor diesem Hintergrund eine Fiktion nicht habe eintreten können. Abgesehen davon greife die Genehmigungsfiktion ausschließlich bei Kostenerstattungsansprüchen, nicht jedoch bei Sachleistungen. Im Übrigen sei eine Entscheidung auch innerhalb von drei Wochen nach Eingang der telefonisch angeforderten weiteren Unterlagen ergangen.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer stationären Liposuktion als Sachleistung. Vor diesem Hintergrund wird sie durch den Bescheid der Beklagten vom 01.10.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2015 im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert.

1. Streitgegenstand ist lediglich der Bescheid vom 01.10.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom einen 21.01.2015, nicht aber der Bescheid vom 12.08.2014. Diesen Bescheid hat die Beklagte ausdrücklich aufgehoben und an dessen Stelle den – eine ambulante oder stationäre Liposuktion ablehnenden – Bescheid vom 01.10.2014 gesetzt. Damit ist der Bescheid vom 12.08.2014 vollständig erledigt (§ 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Gerichtet ist der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer stationären Liposuktion als Sachleistung. Soweit die Beklagte mit dem Bescheid vom 01.10.2014 auch die Gewährung einer ambulanten Liposuktion abgelehnt hat, ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Antrag mit der Erhebung der Klage vor dem SG auf die Gewährung einer stationären Liposuktion beschränkt hat.

2. Statthafte Klageart ist in den Fällen, in denen sich Versicherte auf das Eintreten der Genehmigungsfiktion berufen und die Beklagte den Leistungsantrag abgelehnt hat, die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG. Zwar wird vertreten, dass angesichts des Umstandes, dass in den Fällen des §§ 13 Abs. 3a Satz 6 und 7 SGB V regelmäßig über den Eintritt der Zeit Fiktion gestritten wird, die Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft sei (vgl. hierzu Padé, jurisPR-SozR 23/2016 Anm. 1 m.w.N.). Für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage spricht jedoch, dass diese einen unmittelbaren Leistungsanspruch und – daraus resultierend – einen vollstreckbaren Titel schafft. Abgesehen davon ist der Anspruch in den Fällen, in denen die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (z.B. mangels Aufnahme in den EBM), auf Kostenfreistellung gerichtet (BSG, Urteil v. 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 Rn. 25). Eine solche kann jedoch mit der Leistungsklage bzw. der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage erreicht werden.

3. Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die KK zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V). Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 SGB IX zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbstbeschaffter Leistungen (§ 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V).

a) § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist sowohl nach seinem zeitlichen als auch nach seinem sachlichen Anwendungsbereich anwendbar (vgl. hierzu BSG, Urteil v. 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R Rn. 9 ff.). Die Klägerin hat ihren Leistungsantrag nach Inkrafttreten der Regelung am 13.02.2013 gestellt. Bei der geltend gemachten Liposuktion handelt es sich nicht um eine – nicht fiktionsfähige – Leistung der medizinischen Rehabilitation i.S.d. § 13 Abs. 3a Satz 9 SGB V.

b) Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung tritt die Genehmigungsfiktion nicht lediglich bei Kostenerstattungsansprüchen, sondern auch bei Sachleistungsansprüchen ein. Das BSG (Urteil v. 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R Rn. 25) hat ausdrücklich klargestellt, dass die Genehmigungsfiktion „zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch“ begründet, „dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzenden naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz“ entspricht. Der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Versicherten, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren. Abgesehen davon geht bereits der Wortlaut des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V davon aus, dass die Leistung nach Fristablauf als genehmigt gilt.

c) Die Fiktionswirkung beschränkt sich nicht auf Leistungen, die bereits Gegenstand des Leistungskataloges der GKV sind. Nach der Rechtsprechung des BSG führt die in § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V geregelte Begrenzung auf „erforderliche“ Leistungen zu einer Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Die Begrenzung führt mithin zu einer Rechtsmissbrauchskontrolle, nicht jedoch zu einer Beschränkung auf Leistungen, die bereits jetzt ohne weiteres als Sachleistung zulasten der GKV gewährt werden müssen (vgl. BSG, Urteil v. 08.03.2016 – B1 KR 25/15 R Rn. 26; a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 13.09.2016 – L 4 KR 320/16 juris Rn. 52).

Sowohl bei der ambulanten als auch bei der stationären Liposuktion handelt es sich um Behandlungen, die (ausschließlich) von Ärzten erbracht werden (vgl. z.B. § 15 Abs. 1 SGB V) und grundsätzlich Leistungen der GKV darstellen können. Dafür, dass die Liposuktion dem Grunde nach eine Leistung der GKV darstellen kann und nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der GKV liegt, spricht insbesondere der Umstand, dass der GBA aktuell aufgrund eines Beschlusses vom 22.05.2014 (BAnz AT v. 01.04.2015 B4) im Hinblick auf diese Methode ein sektorenübergreifendes Bewertungsverfahren nach §§ 135, 137c SGB V durchführt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin eine Liposuktion zur Behandlung des Lipödems aus ihrer Sicht für nicht erforderlich halten durfte und sich ihr Begehren damit als missbräuchlich darstellt, liegen im Übrigen nicht vor.

d) Die Beklagte hat den Antrag – unabhängig davon, ob man auf den (zwischenzeitlich aufgehobenen) Bescheid vom 12.08.2014 oder auf den Bescheid vom 01.10.2014 abstellt – nicht binnen drei (bzw. fünf) Wochen nach Eingang des Antrages am 12.05.2014 beschieden, so dass die Genehmigungsfiktion eingetreten ist.

aa) Es lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte der Klägerin schriftlich einen „hinreichenden Grund“ für die Überschreitung der Drei-Wochen-Frist (§ 13 Abs. 3a Satz 5 und 6 SGB V) mitgeteilt hat. Fest steht lediglich, dass die Beklagte während einer mit der Klägerin geführten telefonischen Unterredung weitere Unterlagen angefordert hat, die schließlich am 29.07.2016 bei der Beklagten eingegangen sind. Ebenso wenig ist bekannt, ob die Beklagte der Klägerin mitgeteilt hat, dass sie beabsichtige, den MDK einzuschalten, was die Bearbeitungsfrist auf fünf Wochen verlängert hätte (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V).

bb) Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung begann die Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht erst mit dem Eingang der von der Klägerin übersandten Unterlagen am 29.07.2014 zu laufen. Denn der Antrag war bereits bei Eingang am 12.05.2014 vollständig und die Beklagte somit gemäß § 20 SGB X gehalten, von sich aus den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, ohne der Klägerin aufzugeben, weitere Unterlagen beizubringen. Zur Amtsermittlung im Verwaltungsverfahren gehört auch – wie sich aus § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 und 3 SGB X ergibt – die Einholung von Befund- und Behandlungsberichten der behandelnden Ärzte (vgl. auch SG Detmold, Urteil v. 18.06.2015 – S 3 KR 493/14 juris Rn. 24). Es lässt sich mithin in Konstellationen der vorliegenden Art für den Beginn der in § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V geregelten Fristen nicht darauf abstellen, in welchem Zeitpunkt die von den Versicherten geforderte letzte Mitwirkungshandlung abgeschlossen ist, sofern ein hinreichend bestimmter, fiktionsfähiger Antrag gestellt wurde, der die Krankenkassen in die Lage versetzt, diesen zu bescheiden. Abgesehen davon findet sich in § 13 Abs. 3a SGB V keine § 42a Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vergleichbare Regelung. Nach § 42a VwVfG beginnt die Frist des § 42a Abs. 1 VwVfG erst mit dem Eingang der vollständigen Unterlagen zu laufen.

cc) Der von der Klägerin gestellte Antrag war auch hinreichend bestimmt. Damit eine beantragte Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags (vgl. auch den in § 42a VwVfG zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgrundsatz). Angesichts des Umstandes, dass der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen. Die Fiktion kann somit nur dann eintreten, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (BSG, Urteil v. 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 Rn. 23). Gleichwohl dürfen an die Bestimmtheit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Da der fingierte Verwaltungsakt einem in ordnungsgemäßen Verfahren erlassenen – ausdrücklich erteilten – Verwaltungsakt gleichgestellt ist, reicht es aus, wenn sich sein Inhalt aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Akten im Wege der Auslegung ermitteln lässt (zu § 42a VwVfG vgl. u.a. Dürig in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl. 2014, § 42a Rn. 9; U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 42a Rn. 35 jeweils m.w.N.).

Die Klägerin hat die Beklagte bei Antragstellung zwar um Beratung dahingehend gebeten, welcher der in den beigefügten Berichten vom 11.02.2014 und 29.04.2014 genannten Methoden der Vorzug zu geben sei. Gleichwohl lässt sich dem Antrag der Klägerin mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, dass sie entweder eine stationäre oder eine ambulante Liposuktion beantragt hat. Die Beklagte selber hat hinsichtlich der zu wählenden Methode auch keinerlei Nachfragen an die Klägerin gerichtet, sondern nach Vorlage der vom MDK verfassten Stellungnahme zunächst durch Bescheid vom 12.08.2014 die Gewährung einer stationären Liposuktion und nach Aufhebung dieses Bescheides unter dem 01.10.2014 die Gewährung einer stationären oder ambulanten Liposuktion abgelehnt. Unter Berücksichtigung des Inhaltes des angefochtenen Bescheides, der sich hier quasi als Kehrseite der Genehmigung darstellt, war die Genehmigung dahingehend zu fingieren, dass der Klägerin eine Liposuktion als Sachleistung zu gewähren ist und diese nach Wahl entweder ambulant oder stationär durchgeführt werden kann. Dadurch, dass die Klägerin ihren Klage- und Berufungsantrag auf die Gewährung einer stationären Liposuktion beschränkt hat, hat sie ihr Wahlrecht ausgeübt.

dd) Die Beklagte hat die fingierte Leistungsbewilligung nicht zurückgenommen. Ungeachtet der Frage, ob eine fingierte Genehmigung aufgrund des Umstandes, dass die genehmigte Leistung nicht Bestandteil des Leistungskataloges der GKV ist, nach § 45 SGB X zurückgenommen werden kann (vgl. demgegenüber § 42a Abs. 1 Satz 2 VwVfG, der u.a. die Regelungen über die Bestandskraft von Verwaltungsakten ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt), kann in einem verspäteten Ablehnungsbescheid bereits nach seinem objektiven Erklärungswert keine Rücknahme der fingierten Genehmigung gesehen werden (zu § 42a VwVfG vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 42a Rn. 14 a.E.; U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 42a Rn. 47, 60; Dürig in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl. 2014, § 42a Rn. 10). Abgesehen davon sind hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 SGB X mangels ausdrücklicher Rücknahmeentscheidung und fehlender Ermessensausübung ersichtlich nicht erfüllt.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

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