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Verkehrsunfall – Schmerzensgeld für unfallbedingtes HWS-Schleudertrauma

LG Bielefeld – Az.: 2 O 298/13 – Urteil vom 28.11.2017

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, über die durch Urteil der Kammer – Einzelrichter – vom 18.11.2014 ausgeurteilten Beträge hinaus an den Kläger zu 2. weitere 300,00 EUR Schmerzensgeld und weitere 25,00 EUR, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2013 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage erneut abgewiesen.

3. Von den Gerichtskosten, den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2. und der Beklagten in beiden Verfahren erster Instanz haben der Kläger zu 2.  96 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 4 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 2. allein zu tragen.

Im Übrigen – im Hinblick auf die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1. – bleibt es bei der Entscheidung gemäß Urteil vom 18.11.2014.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagten jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger zu 2. macht restliche Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 20.03.2013 in D. ereignet hat. Die einhundertprozentige Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen ist zwischen den Parteien außer Streit.

Wegen des weiteren Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Tatbestand des Urteils der Kammer – Einzelrichter – vom 18.11.2014 (Blatt 136 bis 143 d. A.) Bezug genommen.

Im Hinblick auf die Schadensersatzansprüche der Klägerin zu 1. wurden die Beklagten in dem vorgenannten Urteil antragsgemäß verurteilt. Insoweit ist die Entscheidung rechtskräftig.

Im Hinblick auf die vom Kläger zu 2. geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensansprüche wurden die Beklagten in dem genannten Urteil als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger zu 2.  500,00 EUR Schmerzensgeld, weitere 116,18 EUR, sowie 80,25 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2013 zu zahlen. Wegen der darüber hinaus gehenden Forderung des Klägers zu 2. wurde die Klage abgewiesen.

Auf die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zu 2. wurde durch Urteil des OLG Hamm vom 15.09.2015 (Blatt 218 bis 225 d. A.) das genannte Urteil der Kammer – Einzelrichter – einschließlich des ihm zugrunde liegende Verfahrens aufgehoben, soweit die Klage des Klägers zu 2. abgewiesen worden war, und im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverwiesen.

Der Kläger zu 2. beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere ärztliche Behandlungskosten in Höhe von 58,31 EUR, eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 EUR sowie weitere anteilige vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.250,89 EUR jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu erstatten,

2. die Beklagten zu verurteilen, dem Kläger zu 2. ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld in der Größenordnung von 25.000,00 EUR  abzüglich der bereits zuerkannten 500,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger zu 2. alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 20.03.2013 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte, insbesondere Versicherer oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Klage wurde am 14.08.2013 zugestellt.

Das Gericht hat weiter Beweis erhoben

durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. I. S. zu der Frage, welche unfallbedingten Belastungen und Geschwindigkeitsänderungen durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall auf den Körper des Klägers zu 2. eingewirkt haben,

durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. U. I., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, zu der Frage, ob der Kläger zu 2. unfallbedingt die behaupteten HWS-/BWS-Verletzungen erlitten hat, konkret, ob, gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit, zeitnah zu dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall HWS-/BWS-Verletzungen vorgelegen haben und

durch Einholung eines weiteren schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. T., Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, zu der Frage, ob die in der Nacht zum 04.04.2013 aufgetretenen Beschwerden des Klägers zu 2. und die anschließend diagnostizierten Beschwerden (Schlaganfall, Herzerkrankung) Folge des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls waren.

Die Sachverständigen S. und Prof. Dr. T. haben ihre schriftlichen Gutachten auf Antrag des Klägers ergänzend mündlich erläutert.

Wegen des Ergebnisses der weiteren Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen S. vom 30.03.2016, auf das schriftliche Gutachten des Prof. Dr. I. vom 05.03.2017 und auf das schriftliche Gutachten des Prof. Dr. T. vom 25.09.2017, im Hinblick auf die mündliche Gutachtenerläuterung durch den Sachverständigen S. auf das Sitzungsprotokoll vom 21.06.2016 (Blatt 264 bis 268 d. A.) im Hinblick auf die mündliche Gutachtenerläuterung durch den Sachverständigen Prof. Dr. T. auf das Sitzungsprotokoll vom 28.11.2017 (Blatt 299 bis 303 d. A.)  Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Verkehrsunfall - Schmerzensgeld für unfallbedingtes HWS-Schleudertrauma
(Symbolfoto: /Shutterstock.com)

Die Klage erweist sich auch nach Durchführung der umfangreichen ergänzenden Beweiserhebung – soweit noch rechtshängig – als nur in sehr geringem Umfang begründet, im Wesentlichen unbegründet.

Der dem Gericht seit langem als zuverlässig und kompetent bekannte Sachverständige S. hat in seinem Gutachten festgestellt, dass alle feststellbaren Belastungswerte unterhalb der in der Literatur genannten Werte liegen, die für eine Verletzungsgefahr sprechen. Aus technischer Sicht sei eine Insassenverletzung daher nicht nachvollziehbar. Auch bei der mündlichen Anhörung des Sachverständigen haben sich keine abweichenden Aspekte ergeben.

Der dem Gericht ebenfalls seit vielen Jahren als zulässig und kompetent bekannte Sachverständige Prof. Dr. I. hat – unter Berücksichtigung der niedergelegten Diagnosen des den Kläger nach dem streitgegenständlichen Unfall behandelnden Arztes Dr. Q. vom 21.03.2013 (Anlage B 6; Blatt 80 d. A.), vom 13.06.2013 (Anlage K 3; Blatt 31 d. A.) und vom 14.08.2014 (Blatt 100, 101 d. A.) festgestellt, dass allenfalls eine HWS-Distorsion vom Schweregrad 1 unfallbedingt nachvollziehbar sei. Diese komme einer Bänderdehnung gleich, die innerhalb eines Zeitraums von wenigen Wochen vollständig abheilt und keine Folgeschäden hinterlässt und liegt unterhalb der Verletzungsgrenze für Strukturen des Körpers, also von Knochen oder Weichteilstrukturen.

Unter Berücksichtigung der genannten Untersuchungen und Diagnosestellung des Dr. Q. und der genannten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. I. in Verbindung mit den Angaben des Klägers bei seiner persönlichen Anhörung im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Einzelrichter hält das Gericht es nunmehr für wahrscheinlich, dass der Kläger unfallbedingt ein HWS-Schleudertrauma ersten Grades davongetragen hat, welches jedoch innerhalb weniger Wochen vollständig abgeklungen ist und keine Folgeschäden hinterlassen hat.

Da bereits rechtskräftig festgestellt wurde, dass der Kläger zu 2. nach dem Unfall unter körperlichem Unwohlsein, eingeschränkter Belastbarkeit und Beklommenheit gelitten hat, und somit eine unfallbedingte Primärverletzung bereits feststand, genügt hinsichtlich der weitergehenden oben dargestellten Beeinträchtigungen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit. Unter Berücksichtigung des Gesamtverletzungsbilds erscheint dem Gericht nunmehr ein Schmerzensgeld in Höhe von 800,00 EUR angemessen, so dass die Beklagten noch – wie ausgeurteilt – weitere 300,00 EUR Schmerzensgeld zu zahlen haben.

Die weitergehende Schmerzensgeldforderung des Klägers zu 2. ist unbegründet.

Entgegen der Behauptung des Klägers zu 2. ist eine Ursächlichkeit des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls für das unstreitig zwei Wochen nach dem Unfall festgestellte Vorhofflimmern und dem Schlaganfall nicht feststellbar. Der Sachverständige Prof. Dr. T. hat in ausführlicher und überzeugender Weise begründet, dass eine Ursächlichkeit zwar grundsätzlich denkbar und daher nicht auszuschließen ist, dass sich für einen solchen Ursachenzusammenhang aber keine ausreichenden Anhaltspunkte ergeben haben; die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammenhanges sei äußerst gering; konkurrierende Ursachen wie die verschiedenen vorbestehenden Herzerkrankungen des Klägers zu 2. seien als Ursache des Vorhofflimmerns und damit auch des Schlaganfalls als ungleich wahrscheinlicher anzusehen. Auch wenn eine solche Ursächlichkeit nicht gänzlich auszuschließen sei, sei ihm, dem Sachverständigen, als Chefarzt (Leiter einer Abteilung für Kardiologie und internistische Intensivmedizin) aus 20 Jahren klinischer Erfahrung kein Fall bekannt, in der ein solcher Ursachenzusammenhang bestanden habe.

Es gibt auch keinerlei Anlass, anstelle des Sachverständigen Prof. Dr. T. nunmehr einen anderen Sachverständigen mit der gleichen Fragestellung zu beauftragen oder, wie vom Kläger zu 2) hilfsweise beantragt, eine ergänzende Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. T. anzuordnen. Die vom Kläger zu 2) – insbesondere mit Schriftsatz vom 17.10.2017 – gegenüber dem Sachverständigen erhobenen Vorwürfe, die zum einen dahin gehen, dass diesem mangelnde Kompetenz vorgeworfen wird, zum anderem dahin, dieser Stelle völlig überhöhte Anforderungen an die Ursächlichkeit zwischen Autounfall und dem Vorhofflimmern, sind unbegründet. So hat der Sachverständige in überzeugender Weise dargelegt, dass die Behauptung des Klägers zu 2), ein Vorhofflimmern trete nicht anlasslos auf, eben nicht zutreffe. Die klinische Erfahrung besage etwas anderes. Die vom Kläger zu 2. in dem genannten Schriftsatz aufgeworfenen Fragen gehen vielfach lediglich dahin, ob von ihm dargestellte Beschwerden mit einem Vorhofflimmern vereinbar seien, wobei etwa bereits vom OLG Hamm bestätigt wurde, dass in der Tat ein unfallbedingter Schock im medizinischen Sinne nicht feststellbar ist. Die vom Kläger in mehreren Varianten aufgeworfene Frage, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen Verkehrsunfall und Vorhofflimmern möglich ist, ist nicht relevant. Auch hat der Sachverständige Prof. Dr. T. keine „völlig überhöhten Anforderungen“ an die Ursächlichkeit gestellt. Auch nach der Beweiserleichterung gemäß § 287 ZPO bedarf es der Feststellung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs. Wie bereits dargelegt, ist der Ursachenzusammenhang extrem unwahrscheinlich. Eine bloße Möglichkeit stellt bei weitem keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dar.

Dem Kläger sind somit neben dem oben genannten weiteren Schmerzensgeld von 300,00 EUR lediglich noch weitere 25,00 EUR Unkostenpauschale zuzusprechen, wie geschehen.

Einen Anspruch auf Erstattung weiterer Behandlungskosten des Dr. Q. hat der Kläger nicht, da diese durch das Vorhofflimmern veranlasst wurden, dessen Unfallbedingtheit jedoch, wie dargelegt, nicht feststellbar ist.

Es bleibt auch dabei, dass der Feststellungsantrag unbegründet ist. Die feststellbar unfallbedingten Beschwerden des Klägers waren nicht gravierend, so dass diesbezügliche Folgeschäden ausscheiden.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erstattung weiterer vorgerichtlicher Anwaltskosten aus § 280 BGB zu. Durch die Zuerkennung weiterer 325,00 EUR wird gegenüber dem im Urteil vom 18.11.2014 für begründet erklärten Anspruch kein Gebührensprung erreicht, so dass keine höheren vorgerichtlichen Anwaltskosten zugrunde zu legen sind. Die mit Urteil vom 18.11.2014 zugesprochenen vorgerichtlichen Anwaltskosten sind ohnehin leicht überhöht, da versehentlich das RVG in der ab 01.08.2013 geltenden Fassung zugrunde gelegt wurde; die diesbezüglichen Gebühren sind jedoch vorher entstanden.

Die Zinsansprüche ergeben sich aus §§ 288, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 und 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711, 713 ZPO.

 

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