AG Bremerhaven – Az.: 56 C 308/17 – Urteil vom 24.10.2018
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.03.2017 zu zahlen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Teilklage um Ansprüche auf restliche merkantile Wertminderung aus einem Verkehrsunfall, der sich am 18.06.2016 gegen 12:00 Uhr auf der Zufahrt zum Entsorgungsgelände der … an der Straße Z. in B. ereignete.
Der Kläger fuhr mit einem PKW von einem anderen Parkplatzteil auf den Parkplatz. Die Beklagte zu 1) parkte mit einem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW rückwärts aus und stieß dabei dem vom Kläger gefahrenen PKW in die rechte Seite. Auf die merkantile Wertminderung am Klägerfahrzeug zahlte die Beklagte 4.000,00 €.
Der Kläger behauptet, er habe sich bereits hinter dem Beklagtenfahrzeug befunden, als dieses seinen Ausparkvorgang begonnen habe. Das von ihm gefahrene Fahrzeug stehe in seinem, des Klägers, Eigentum und habe beim Unfall erst 450 km gelaufen. Es sei erst 12 Tage alt gewesen. Ausgehend von einem Wert des Fahrzeuges von 86.000,00 € betrage die merkantile Wertminderung 6.000,00 €. Der geringere Kaufpreis von 67.840,77 € beruhe nur auf einem Mitarbeiterrabatt seitens des Herstellers.
Der Kläger beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn, den Kläger, 2.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Der Kläger sei nicht Eigentümer, weil das Fahrzeug der Zeuge S. gekauft habe. Der Kläger sei nur Halter. Die Beklagte zu 1) sei erst rückwärts gefahren, als sie sich vergewissert habe, dass alles frei gewesen sei. Sie sei schon zur Hälfte aus der Parklücke heraus gewesen, als der Kläger mit weitaus überhöhter Geschwindigkeit vom angrenzenden Parkplatzgelände gekommen sei. Der Kläger habe den Unfall vermeiden können, wenn er sich vergewissert hätte, dass er das Grundstück gefahrlos verlassen kann. Gleiches gelte, wenn er nicht mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren wäre. Den Kläger treffe deswegen eine Mithaftung von 1/3. Die Wertminderung sei aufgrund eines unzutreffenden Wertes berechnet worden. Dieser betrage nämlich nur 67.840,77 €. Zudem sei zu bestreiten, dass der Kläger keine Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen S., W., B. und E. und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18.10.2017 bzw. das schriftliche Gutachten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger kann von den Beklagten Zahlung in Höhe von 2.000,00 € aus §§ 7, 18 StVG, 823 Abs. 1 BGB, hinsichtlich der Beklagten zu 2) in Verbindung mit § 115 VVG verlangen, außerdem Zinsen darauf aus §§ 288, 291 BGB.
1. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs ist. Das folgt aus den überzeugenden Aussagen der Zeugen S. und W. Die beiden haben in sich schlüssig, lebensnah und auch untereinander widerspruchsfrei ausgesagt, dass nach außen hin zwar Herr S. der Käufer war, das Fahrzeug aber von Beginn an für den Kläger vorgesehen war. Das Gericht hat deswegen keinen Zweifel, dass das Fahrzeug entweder direkt an den Kläger übereignet oder aber jedenfalls direkt vom Zeugen S. an den Kläger weiterübereignet worden ist.
2. Nach der Beweisaufnahme steht für das Gericht zudem fest, dass die Beklagten für die Schäden aus dem Unfall zu 100 % haften.
a) Zwar war der Unfall für den Kläger nicht unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Denn es steht zum einen zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Klägerfahrzeug bei der Kollision selbst in Bewegung war. Die gegenteiligen Bekundungen des Klägers in seiner persönlichen Anhörung und des Zeugen E. sind zumindest insoweit nicht glaubhaft. Sie werden nicht nur durch den Sachverständigen widerlegt, sondern bereits durch das Schadenbild am Klägerfahrzeug, das derart großflächig ist und als Streifschaden ausgeformt, dass sogar für einen Laien ohne weiteres erkennbar ist, dass das Klägerfahrzeug gefahren sein muss. Zum anderen hat der Sachverständige festgestellt, dass der Kläger bei Schrittgeschwindigkeit den Unfall hätte vermeiden können.
b) Im Rahmen der dann vorzunehmenden Gesamtabwägung der (feststehenden) Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG trifft gleichwohl die Beklagtenseite die Alleinhaftung.
Wer rückwärts fährt, hat nach § 9 Abs. 5 StVO (auf Parkplätzen über § 1 Abs. 2 StVO) eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Das bedeutet erhöhte Sorgfaltsanforderungen und beinhaltet, sich vor Beginn und während der Rückwärtsfahrt zu vergewissern, dass der Raum hinter dem Fahrzeug frei ist. Nur ein mit Gewissheit freier Raum darf befahren werden (OLG Oldenburg, Urteil vom 09.06.2000 – 6 U 55/00). Wer bei der Rückwärtsfahrt mit dem fließenden oder stehenden Verkehr kollidiert, haftet in der Regel allein (Quarch in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, StVO § 9 Rn. 11). Hiervon ist auch im konkreten Fall nicht abzuweichen.
Aus den Ausführungen des Sachverständigen lässt sich nur eine Geschwindigkeit des Klägerfahrzeugs unter 10 km/h feststellen. Eine höhere Geschwindigkeit vermag der Sachverständige nicht auszuschließen, sie ist damit aber nicht bewiesen. Dass der Kläger nur mit einer sehr geringen Geschwindigkeit gefahren sein kann, lässt sich auch daraus ersehen, dass er nach dem vorhandenen Bildmaterial noch hinter der Beklagten zu 1) zum Stehen kam, also praktisch nahezu keinen Anhalteweg hatte. Das folgt auch aus der überzeugenden Aussage des Zeugen B., der angab, beim Eintreffen vor Ort habe der Kläger noch hinter dem Beklagtenfahrzeug gestanden. Bei einer derart geringen Geschwindigkeit, die kaum über der Schrittgeschwindigkeit liegt, ist dem Kläger ein zu einer Mithaftung führender Vorwurf (und sei es auch nur im Bereich der Betriebsgefahr) nicht zu machen.
Ob der Kläger von einem Grundstück oder von einem anderen Straßenteil auf eine Fahrbahn fuhr (§ 10 StVO) und nicht etwa von einem Parkplatz auf den nächsten, muss nicht entschieden werden. Denn jedenfalls findest § 10 StVO hier keine Anwendung, weil das Einfahren zum Zeitpunkt der Kollision bereits beendet gewesen wäre. Das ist nämlich dann der Fall, wenn sich der Einfahrende in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (BHHJ/Burmann, 25. Aufl. 2018, StVO § 10 Rn. 8). Da die Beklagte zu 1) vom Zaun rückwärts auf die Fahrbahn zurücksetzte, musste der Kläger sich bei Kollision bereits vollständig auf der Fahrbahn befunden haben. Dabei lässt sich nicht erkennen, dass es einen Unterschied gegeben hätte zu einem Fahrer, der sich bereits länger auf der Straße befunden hätte. Hinzu kommt, dass § 10 StVO den Vorrang des fließenden Verkehrs schützt, also nicht die sich nicht im fließenden Verkehr befindliche Beklagte zu 1).
3. In der Höhe kann der Kläger restliche merkantile Wertminderung in Höhe von 2.000,00 € verlangen. Dagegen wenden sich die Beklagten nur insoweit, als sie einen anderen Fahrzeugwert zugrunde legen, nämlich den rabattierten Kaufpreis. Nicht nur aus den glaubhaften Aussagen der Zeugen, sondern auch aus der Abrechnung vom 11.01.2016 (Anlage B1, Bl. 47 ff. d.A.) folgt aber, dass der Fahrzeugneuwert brutto mit über 86.000,00 € zu bemessen ist. Der Neuwert ist schon deswegen maßgeblich, weil ausweislich des Fahrzeugbriefes (Anlage K4, Bl. 85 d.A.) das Fahrzeug erstmals am 06.06.2016 und damit lediglich 12 Tage vor dem Unfall zugelassen wurde. Eine Laufleistung von 450 km ist dann ebenfalls realistisch.
Dass der Schaden bereits beglichen sein sollte, etwa durch einen Vollkaskoversicherer, ist zulasten der insoweit beweisbelasteten Beklagten nicht feststellbar.
4. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.