Umstrittene Schadensersatzforderungen nach Mieterauszug: Das Landgericht Wuppertal entscheidet
Im Mittelpunkt des Entscheids des Landgerichts Wuppertal (Az.: 9 S 18/20) vom 16. Juli 2020 standen Ansprüche des Vermieters auf Schadensersatz nach dem Auszug des Mieters. Das Gericht hatte dabei zu entscheiden, inwiefern die Mieter für den Zustand der Wohnung nach ihrem Auszug verantwortlich waren und ob der Vermieter einen Anspruch auf Ersatz von Mietausfall hat.
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Übersicht
Heißkleber und bunte Farben: Schadensersatzpflicht des Mieters
Der Hauptstreitpunkt im vorliegenden Fall bezog sich auf die Verletzung von Nebenpflichten durch die Mieter. Sie hatten Wände der Wohnung mit kräftigen Latexfarben dekoriert und eine Stegplatte mit Heißkleberpunkten an der Tapete der Küche befestigt. Laut Gericht hätten sie sich dadurch gegenüber dem Vermieter gemäß §§ 280 I 1, 281 I 1 BGB schadensersatzpflichtig gemacht. Ebenso wurde festgestellt, dass das Anbringen von Befestigungen mittels Dübeln zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Wohnung gehört.
Unwirksame Klausel: Mieter nicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen verpflichtet
Das Gericht führte aus, dass die Mieter nicht zur Durchführung der normalen Schönheitsreparaturen verpflichtet waren. Die entsprechende Klausel im formularmäßigen Mietvertrag wurde als unangemessen im Sinne von § 307 BGB eingestuft und somit für unwirksam erklärt. Der Vermieter konnte daher keinen Schadensersatz für die Nichtdurchführung dieser Arbeiten verlangen.
Kein Ersatz von Mietausfall
Ein weiterer Aspekt der Entscheidung betraf den vom Vermieter geforderten Ersatz von Mietausfall. Das Gericht wies diesen Anspruch zurück. Es wurde festgestellt, dass es ohnehin Aufgabe des Vermieters war, die normalen Schönheitsreparaturen durchzuführen. Eine relevante Verzögerung durch die von den Mietern verursachten Mehrarbeiten wurde weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
Zinsanspruch des Vermieters
Abschließend entschied das Gericht, dass der Vermieter gemäß §§ 286, 288 I BGB einen Zinsanspruch auf den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag ab dem 25.11.2017 hat. Dies begründete es damit, dass der Vermieter mit seiner Abrechnung vom 24.11.2017 eine sogenannte Selbstmahnung ausgesprochen hatte.
Insgesamt zeigt das Urteil des Landgerichts Wuppertal deutlich auf, wie komplex die Frage der Schadensersatzpflicht des Mieters nach dem Auszug sein kann und welche Klauseln in Mietverträgen als unwirksam angesehen werden können.
Das vorliegende Urteil
LG Wuppertal – Az.: 9 S 18/20 – Urteil vom 16.07.2020
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Mettmann, 25 C 55/18, vom 19.12.2019 teilweise abgeändert und – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 1.022,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.11.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil, soweit es aufrechterhalten worden ist, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Kläger waren von 2005 bis 2017 Mieter einer Wohnung des Beklagten (Mietvertrag, Bl. 6 ff. GA). In einem gesondert unterschriebenen Anhang zum Mietvertrag hieß es unter anderem: Die Wohnung wird vollständig renoviert, Decken und Wände mit Raufaser versehen übergeben. Bei Auszug ist die Wohnung mit weiß gestrichenen Wänden zurückzugeben (Bl. 74 – 75 GA).Bei der Rückgabe der Wohnung Ende September 2017 waren zahlreiche Wände der Wohnung in kräftigen (Latex-) Farben dekoriert (Fotos, Bl. 85 ff. GA). Mit Schreiben vom 02.10.2017 wurde insbesondere die Verwendung von Latexfarben sowie die fehlenden Beseitigung von Dübellöchern u. ä. gerügt und – vergeblich – eine Nachfrist von einer Woche gesetzt. Der Beklagte beauftragte sodann einen Maler mit der Ausführung der Arbeiten, der 1.666,74 EUR in Rechnung stellte und erhielt.Die Kläger haben sich einer Gesamtforderung gegenüber dem Beklagten i.H.v. 2.750,72 Euro, zusammengesetzt aus der Kaution, versehentlich gezahlten Mieten für Oktober und November 2017 sowie einem Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung 2016, berühmt. Hiervon hat der Beklagte den vorgenannten Rechnungsbetrag sowie 188,71 EUR als Nutzungsentschädigung für 10/30 Monat abgezogen und den Restbetrag i.H.v. 895,27 gezahlt. Den einbehaltenen Teilbetrag 1.855,45 EUR haben die Kläger nebst Zinsen und außergerichtlicher Kosten klageweise geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage nach Erhebung von Beweisen abgewiesen. Die Aufrechnung des Beklagten habe die Ansprüche der Kläger zum Untergang gebracht. Er könne die Erstattung der Malerrechnung verlangen, weil die Kläger mit ihrer Farbwahl das Gebot der Rücksichtnahme verletzt hätten. Sein Ersatzanspruch hänge also nicht von dem Anhang zum Mietvertrag und dessen Wirksamkeit ab. Der Schaden des Vermieters bestehe darin, dass er die für breite Mieterkreise nicht akzeptable Art der Dekoration beseitigen müsse. Die von den Klägern angebrachte farbliche Gestaltung sei eine solche, die von breiten Mieterkreisen nicht akzeptiert würde. Die Anstricharbeiten hätten sich nach der Aussage des Zeugen T auf alle Wände der Wohnung bezogen. Ein Abzug „neu für alt“ sei nicht zu machen. Die von Ihnen gewählte farbliche Gestaltung hätten die Kläger erst zum Ende der Mietzeit beseitigen müssen, so dass der Beklagte nicht besser stehen würde, als er bei einem von vornherein vertragsgemäßen Verhalten gestanden hätte. Die Erstattungspflicht erfasse auch Kosten für die Tapezierung der Küche, denn die Kläger hätten eine Nebenpflicht verletzt, indem sie eine Stegplatte an die Wand geklebt hätten, wodurch beim Abnehmen der Platte die Tapete beschädigt worden sei. Im Ergebnis gelte dasselbe, soweit die Rechnung sich auf Arbeiten an den Decken beziehen würde. Denn das Gericht gehe davon aus, dass ein Komplettanstrich der Decken nicht Gegenstand der Rechnung sei. Entsprechendes hätte auch keine Partei ausdrücklich behauptet und sei dies der Rechnung selbst auch nicht zu entnehmen. Streitgegenständlich seien allein Maßnahmen zum Verschließen von Dübellöchern. Schließlich sei auch die geltend gemachte Nutzungsentschädigung für 10/30 Oktober 2017 gerechtfertigt. Die Beklagten (gemeint Kläger) hätten die Behauptung des Klägers (gemeint Beklagten), eine Neuvermietung sei erst nach Durchführung der Reparaturarbeiten möglich gewesen, nicht hinreichend substantiiert bestritten. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgen. Für die Schadensberechnung sei maßgeblich, ob die mietvertraglichen Regelungen eine Endrenovierung nicht begründet hätten oder ob die Wohnung unrenoviert hätte zurückgegeben werden können. Nach der Aussage des Sohnes des Beklagten habe es sich nicht um eine ausgehandelte Klausel gehandelt. Dann aber sei den Mietern nicht wirksam die Farbe Weiß vorgeschrieben worden. Auch hätte der Beklagte in der zwölfjährigen Mietdauer mindestens zweimal Schönheitsreparaturen ausführen müssen. Dementsprechend müsste der Beklagte die Kosten einer normalen Renovierung jedenfalls selbst tragen. Als Schaden könne nur der Mehraufwand angesetzt werden. Diesen Mehraufwand habe die Gegenseite zu keinem Zeitpunkt nachvollziehbar dargelegt. Das gelte auch für die Heißklebepunkte in der Küche und die Dübellöcher. Zudem hätte das Amtsgericht die Kosten des Deckenanstrichs herausnehmen müssen, weil der Zeuge T mitgeteilt habe, dass sie gestrichen worden sei. Genauso wenig werde Nutzungsentschädigung geschuldet. Es habe auch keinen Nachmieter zum 01.10.2017 gegeben. Hinsichtlich der geltend gemachten außergerichtlichen Kosten habe das Amtsgericht übersehen dass der Beklagte jedenfalls mit der Rückzahlung der knapp 900 EUR im Verzug gewesen sei.Die Berufungskammer hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.06.2020 Bezug genommen. Im Übrigen wird von der Darstellung eines Tatbestandes gemäß §§ 540 II, 313a, 544 II Nr. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen beruht die angefochtene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung; § 513 ZPO.
1.
Der Anspruch der Kläger auf Rückzahlung ihrer Kaution sowie der Mietüberzahlungen und auf Auszahlung des Guthabens der Nebenkostenabrechnung 2016 ist i.H.v. 895,27 EUR durch Zahlung des Beklagten und in Höhe weiterer 833,37 EUR gemäß §§ 387, 389 BGB durch Aufrechnung des Beklagten mit einem Schadensersatzanspruch erloschen, sodass sich nur, aber immerhin, der aus dem Tenor ersichtliche Betrag ergibt.
a)
Indem die Kläger die Tapete in der Küche mit Heißkleberpunkten versehen und trotz Aufforderung die von ihnen verursachten Dübellöcher sowie die von ihnen angebrachten kräftigen Latexfarben an verschiedenen Wänden der Wohnung nicht beseitigt hatten, haben sie sich dem Beklagten gegenüber gemäß §§ 280 I 1, 281 I 1 BGB schadensersatzpflichtig gemacht.
aa)
Es gehört zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Wohnung, Befestigungen mittels Dübeln vorzunehmen. Doch sind diese nach Auffassung der Kammer bei Beendigung des Mietverhältnisses zu entfernen und die Löcher fachgerecht zu verschließen (ebenso: Blank/Börstinghaus/Blank, 5. Aufl. 2017, BGB § 546 Rn. 39b) . Denn es handelt sich um Substanzeingriffe (BeckOK BGB/Zehelein, 53. Ed. 1.2.2020, BGB § 538 Rn. 5). Die Kammer teilt nicht die Ansicht, eine Pflicht, Dübellöcher oder andere Bohrlöcher zu beseitigen, bestehe nur, wenn diese auf einem atypischen Nutzerverhalten beruhen würden (so: Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 14. Aufl. 2019, BGB § 538 Rn. 34, 77). Denn das Kriterium des atypischen Nutzerverhaltens ist so wenig greifbar, dass es unbrauchbar ist. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall rund 126 Dübellöcher registriert worden sind, was ungewöhnlich viel ist, würde sich auch die Frage stellen, ob die Beseitigungspflicht nur den Anteil der Dübellöcher betrifft, der das gewöhnliche Maß übersteigt.
bb)
Die Kläger als Mieter durften auch die Wohnung während der Mietzeit so dekorieren, wie es ihrem Geschmack entsprach. Allerdings waren sie verpflichtet, bei Beendigung des Mietverhältnisses die Wohnung wieder so herzurichten, dass normale Schönheitsreparaturen ausgereicht hätten. Dagegen haben sie trotz Fristsetzung verstoßen, weil sie die von ihnen aufgebrachten kräftigen Latexfarben weder beseitigt noch entsprechend behandelt haben.
cc)
Dagegen waren die Kläger nicht verpflichtet, die normalen Schönheitsreparaturen durchzuführen. Denn die entsprechende Klausel in dem formularmäßigen Mietvertrag benachteiligte sie unangemessen im Sinne von § 307 BGB und war deshalb unwirksam. Im Anhang zum Mietvertrag § 24 Abs. 1 S. 2 heißt es: Bei Auszug ist die Wohnung mit weiß gestrichenen Wänden zurückzugeben. Der BGH (VIII ZR 198/10, juris) hat zu einer solchen Klausel ausgeführt: Wird der Wohnraummieter formularvertraglich verpflichtet, die Wohnung „weiß gestrichen“ zurückzugeben, liegt darin eine unangemessene Einengung des Mieters hinsichtlich der Farbwahl. Dies kann zur Unwirksamkeit der formularmäßigen Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter insgesamt führen. Dieser Auffassung ist auch die Kammer.
dd)
Der Höhe nach konnte der Beklagte von den Klägern deshalb nur diejenigen Mehrkosten verlangen, welche die Renovierung der Wohnung im Vergleich zu normal durchzuführenden Schönheitsreparaturen erforderte (vergleiche BGH, VIII ZR 416/12, juris). Das sind diejenigen Kosten, die für die Beseitigung der Dübellöcher, die Behebung des Tapetenschadens in der Küche und die erforderlichen Vorarbeiten betreffend der an den Wänden angebrachten kräftigen Latexfarben nötig waren. Diesen Mehraufwand schätzt die Kammer gemäß § 287 I ZPO auf 50 % der Rechnung K vom 25.10.2017 (Bl. 45 GA), was 833,37 EUR ergibt. Der sachverständige Zeuge T hat den Mehraufwand entsprechend veranschlagt. Ein höherer Schaden ist nicht in einem solchen Maße wahrscheinlich, dass er zugesprochen werden könnte. Zwar hat der genannte Zeuge auch angegeben, es sei insgesamt ein größerer Stundenaufwand erforderlich gewesen als 27 Stunden. Doch ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte auf ausdrückliche Nachfrage im Termin vom 25.06.2020 angegeben hat, nur der Malerbetrieb K sei mit der Instandsetzung der Wohnung beauftragt gewesen und es habe auch nur diese eine Rechnung gegeben.Ein Anspruch auf Ersatz von Mietausfall besteht nicht. Das folgt jedenfalls daraus, dass es ohnehin Sache des Beklagten war, die normalen Schönheitsreparaturen durchzuführen, weshalb eine relevante Verzögerung durch die von den Klägern verursachten Mehrarbeiten weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist.
b)
Gemäß §§ 286, 288 I BGB ist der aus dem Tenor ersichtliche Betrag ab dem 25.11.2017 zu verzinsen, weil der Beklagte mit seiner Abrechnung vom 24.11.2017 eine sogenannte Selbstmahnung ausgesprochen hat. Eine Verzinsung ab dem 11.11.2017, wie beantragt, konnte nicht zuerkannt werden. Soweit die Kläger die überbezahlten Mieten unter Fristsetzung bis zum 10.11.2017 zurückgefordert hatten, war dies nicht geeignet, den Beklagten in Verzug zu setzen, weil die Frist für die Abrechnung der Kaution noch längst nicht verstrichen war.
2.
Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Kosten i.H.v. 272,76 EUR nebst Zinsen ist nicht begründet. Als die anwaltliche Zahlungsaufforderung am 27.11.2017 verfasst wurde (Bl. 29-30 GA), hatte der Beklagte bereits die Kautionsabrechnung vorgenommen (Bl. 25 GA). Seine Zahlung von 895,27 EUR und seine Aufrechnung i.H.v. 833,37 EUR (siehe oben) waren gemäß § 366 II BGB nämlich in erster Linie auf die Mietüberzahlungen anzurechnen, weil es sich bei diesen um die lästigeren Schulden handelte.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 und 97 ZPO einerseits und §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO andererseits. Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 2.000 EUR (§§ 43 I, 48 I GKG, 6 S. 1 ZPO)Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 I Nr. 1, II ZPO), bestand nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Eine grundsätzliche Bedeutung ist nämlich nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidung der Sache von einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage abhängt, die über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (BGH, IV ZR 543/15, bei juris). Anlass zur Fortbildung des Rechts durch Entwicklung höchstrichterlicher Leitsätze im Sinne von § 543 II 1 Nr. 2, 1. Alt. ZPO besteht nur dann, wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt (BGH, V ZR 291/02, bei juris).